Verfall von Urlaub bei Langzeiterkrankung
BAG, Urteil vom 20.12.2022 (Az.: 9 AZR 245/19)
Ausgabe 52 | März 2023
Der schwerbehinderte Kläger war bei der beklagen Arbeitgeberin als Frachtfahrer beschäftigt. Wegen
voller Erwerbsminderung konnte er vom 01.12.2014 bis August 2019 seine Arbeitsleistung nicht erbringen und aus demselben Grund auch keinen Urlaub nehmen. Mit seiner Klage machte er Resturlaub
aus dem Jahr 2014 im Umfang von 24 Tagen geltend.
Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Die Revision des Klägers hatte Erfolg.
Nach dem Urteil des BAG war der für das Jahr 2014 noch nicht erfüllte Urlaubsanspruch abzugelten.
Nach der neueren Rechtsprechung des BAG erlöschen Urlaubsansprüche am Ende des Kalenderjahres
oder eines zulässigen Übertragungszeitraumes grundsätzlich nur dann, wenn der Arbeitgeber den
Arbeitnehmer zuvor durch Erfüllung sog. Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten in die Lage
versetzt hat, seinen Urlaub wahrzunehmen, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien
Stücken nicht genommen hat. Besonderheiten bestehen, wenn der Urlaub aus gesundheitlichen
Gründen nicht genommen werden konnte.
Nach der bisherigen Rechtsprechung gingen gesetzliche Urlaubsansprüche im Falle fortdauernder
Arbeitsunfähigkeit ohne Weiteres mit Ablauf des 31. März des zweiten Folgejahres („15-Monatsfrist“)
unter. Diese Rechtsprechung hat der Senat in Umsetzung der Vorgaben des EuGH aufgrund Vorabentscheidung vom 22.09.2022 (C-518/20 und C-727/20 – [Fraport]) nun weiterentwickelt. Danach
verfällt der Urlaubsanspruch weiterhin mit Ablauf der 15-Monatsfrist, wenn der Arbeitnehmer seit
Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden
Kalenderjahres aus gesundheitlichen Gründen daran gehindert war, seinen Urlaub anzutreten. Auf die
Einhaltung der Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers komme es in diesem Fall nicht an, da diese nicht
zur Inanspruchnahme des Urlaubs hätten beitragen können.
Anders verhalte es sich jedoch, wenn der Arbeitnehmer – wie vorliegend der Kläger – im Urlaubsjahr
tatsächlich noch gearbeitet hat, bevor er erwerbsgemindert oder krankheitsbedingt arbeitsunfähig
geworden ist. In diesem Fall setze der Verfall des Urlaubsanspruchs regelmäßig voraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer rechtzeitig vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit in die Lage versetzt hat, seinen
Urlaub auch tatsächlich zu nehmen. Dies war vorliegend nicht der Fall.
Hingewiesen sei darauf, dass das BAG mit Urteil vom gleichen Tag (Az.: 9 AZR 266/20) auch entschieden
hat, dass der gesetzliche Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub der Verjährung unterliegt, die dreijährige
Verjährungsfrist allerdings erst am Ende des Kalenderjahres beginnt, in dem der Arbeitgeber den
Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.