Dienstliche Mitteilungen in der Freizeit
LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 27.09.2022 (Az.: 1 Sa 39 öD/22)
Ausgabe 52 | März 2023
Der bei der Beklagten als Notfallsanitäter tätige Kläger war für einen sogenannten unkonkreten Springerdienst eingeteilt, der die Mitarbeiter verpflichtet, sich um 7:30 Uhr telefonisch einsatzfähig zu
melden, sofern der Schichtbeginn nicht bis 20 Uhr des Vortages konkretisiert worden ist. Am für den
Kläger arbeitsfreien Vortag teilte die Beklagte den Kläger zu einer Schicht in der Rettungswache mit
Beginn um 6:00 Uhr ein. Nachdem die Beklagte den Kläger telefonisch nicht erreichte, sendete sie ihm
eine SMS auf sein privates Mobiltelefon. Der Kläger nahm diese SMS nicht zur Kenntnis und zudem
auch keine Einsicht in den im Internet aktualisierten Dienstplan. Als der Kläger sich um 7:30 Uhr einsatzbereit meldete, hatte die Beklagte bereits einen anderen Mitarbeiter herangezogen und setzte den
Kläger nicht weiter ein. Die Beklagte wertete dieses Verhalten als unentschuldigtes Fehlen und zog
dem Kläger elf Stunden von seinem Arbeitszeitkonto ab. Mit seiner Klage verlangte der Kläger u.a. die
Gutschrift der abgezogenen Dienstzeiten auf seinem Arbeitszeitkonto.
Nachdem das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen hatte, gab das LAG Schleswig-Holstein dieser statt.
Nach dem Urteil das LAG waren die in Rede stehenden elf Stunden dem Arbeitszeitkonto des Klägers
gutzuschreiben, da sich die Beklagte mit der Annahme der Arbeitsleistung des Klägers in Annahmeverzug befand (§ 615 S. 1 BGB).
Der Kläger habe seine Arbeitsleistung zur rechten Zeit am rechten Ort angeboten. Da die Beklagte nicht
nachweisen konnte, dass dem Kläger die kurzfristige Änderung des Dienstplans tatsächlich zugegangen
war, liege kein unentschuldigtes Fehlen vor. Es sei zwar davon auszugehen, dass die SMS der Arbeitgeberin auf dem Handy des Klägers eingegangen sei, jedoch durfte diese erst mit seinem Dienstbeginn
damit rechnen, dass der Kläger auch von der SMS Kenntnis nehmen würde. Arbeitnehmer seien während
ihrer Freizeit nicht dazu verpflichtet, dienstliche SMS aufzurufen, um sich über ihre Arbeitszeit zu
informieren. Beim Lesen einer SMS, mit der der Arbeitgeber sein Direktionsrecht bezüglich Arbeitszeit
und Arbeitsort ausübt, handele es sich um Arbeitszeit.
Arbeitnehmern stehe in ihrer Freizeit ein „Recht auf Unerreichbarkeit“ zu. Es gehöre zu den vornehmsten
Persönlichkeitsrechten, dass ein Mensch selbst entscheidet, für wen er in seiner Freizeit erreichbar sein
will oder nicht.
Auch habe der Kläger nicht treuwidrig gehandelt, indem er nicht auf die Anrufe der Beklagten reagierte,
deren SMS nicht zur Kenntnis nahm und es unterließ, den Dienstplan im Internet einzusehen. Eine
Nebenpflicht, sich in der Freizeit nach seinen Dienstzeiten zu erkundigen, bestehe nicht. Ausdrücklich
offen blieb Frage, ob der Kläger einer Weisung, die ihm in seiner Freizeit zufällig zugeht, Folge leisten
müsste. Es bleibt abzuwarten, wie das BAG über die in dieser Sache anhängige Revision (5 AZR 349/22)
entscheiden wird.