BAG AKTUELL: Verwertbarkeit von Überwachungsvideos im Kündigungsrechtsstreit BAG, Urteil vom 29.06.2023 (Az.: 2 AZR 296/22)
Ausgabe 54 | September 2023
Nach Auswertung ihrer Videoüberwachungsaufnahmen sah es die Arbeitgeberin als erwiesen an, dass
ein Arbeitnehmer die Erbringung seiner Arbeitsleistung nur vorgetäuscht hatte. Daher kündigte die
Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer außerordentlich, hilfsweise ordentlich.
Hiergegen wehrte sich der Arbeitnehmer und machte geltend, die Videoüberwachung und deren Aus-
wertung stünde nicht im Einklang mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und unterliege daher
einem Sach- und Beweisverwertungsverbot. Zudem sei die Verwertung der Daten im Prozess auch
deshalb ausgeschlossen, da die Arbeitgeberin mit dem Betriebsrat vereinbart habe, keine personen-
bezogene Auswertung der Überwachungsdaten vorzunehmen.
Nachdem das LAG (siehe auch ARBEITSRECHTSREPORT Nr. 51 zu Parallelverfahren) der gegen die
Kündigung gerichteten Klage stattgab, hatte die Revision Erfolg und führte zur Zurückverweisung der
Sache an das LAG.
Das LAG habe nicht nur das Vorbringen der Arbeitgeberin zum Verlassen des Betriebsgeländes durch
den Kläger zu Grunde legen, sondern auch die betreffende Bildsequenz aus der Videoüberwachung in
Augenschein nehmen müssen. Dies folge aus den einschlägigen Vorschriften des Unionsrechts sowie
des nationalen Verfahrens- und Verfassungsrechts. Dabei spiele es keine Rolle, ob die Überwachung in
jeder Hinsicht den Vorgaben des Bundesdatenschutzgesetzes bzw. der DSGVO entsprach. Denn selbst
wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, wäre eine Verarbeitung der betreffenden personenbezo-
genen Daten des Klägers durch die Gerichte für Arbeitssachen nach der DSGVO nicht ausgeschlossen.
Dies gelte jedenfalls dann, wenn die Datenerhebung wie hier offen erfolgte und vorsätzlich vertrags-
widriges Verhalten des Arbeitnehmers in Rede stehe.
Auch eine Betriebsvereinbarung, die die personenbezogene Auswertung der Überwachungsdaten
ausschließt, stünde einer prozessualen Verwendung der Daten nicht entgegen. Den Betriebsparteien
fehle es insofern an einer entsprechenden Regelungsmacht.
Ob aus Gründen der Generalprävention ausnahmsweise ein Verwertungsverbot in Bezug auf vor-
sätzliche Pflichtverstöße in Betracht käme, sofern die offene Überwachungsmaßnahme eine schwer-
wiegende Grundrechtsverletzung darstelle, ließ das BAG offen, da dies vorliegend nicht der Fall war.