AUS DER RECHTSPRECHUNG:
Update: Kein Recht auf Nichterreichbarkeit
in der Freizeit
BAG, Urteil vom 23.08.2023 (Az.: 5 AZR 349/22)
Ausgabe 56 | Juni 2024
Der bei der Beklagten als Notfallsanitäter tätige Kläger war nach der mit dem Betriebsrat geschlossenen Betriebsvereinbarung zu Arbeitszeitgrundsätzen im Einsatzdienst (BV) für den 8. April 2021 für
einen sog. unkonkreten Springerdienst eingeteilt, der die Mitarbeiter verpflichtet, sich um 7.30 Uhr
telefonisch einsatzfähig zu melden, sofern der Schichtbeginn nicht bis 20.00 Uhr des Vortages konkretisiert worden ist. Am für den Kläger arbeitsfreien Vortag teilte die Beklagte den Kläger zu einer
Schicht in der Rettungswache mit Beginn um 6.00 Uhr ein. Nachdem die Beklagte den Kläger telefonisch nicht erreichte, sendete sie ihm eine SMS auf sein privates Mobiltelefon. Der Kläger nahm die
SMS nicht zur Kenntnis und nahm auch keine Einsicht in den im Internet aktualisierten Dienstplan.
Als der Kläger sich um 7.30 Uhr einsatzbereit meldete, hatte die Beklagte bereits einen anderen
Mitarbeiter herangezogen und setzte den Kläger nicht weiter ein. Die Beklagte wertete dieses
Verhalten als unentschuldigtes Fehlen und zog dem Kläger elf Stunden von seinem Arbeitszeitkonto
ab. Mit seiner Klage verlangte der Kläger u.a. die Gutschrift der abgezogenen Dienstzeiten auf seinem
Arbeitszeitkonto.
Nachdem das LAG Schleswig-Holstein der Klage mit Urteil vom 27.09.2022 (siehe Arbeitsrechtsreport
Nr. 52) stattgegeben hatte, war die Revision gegen diese Entscheidung erfolgreich.
Das BAG gelangte zu der Auffassung, dass der Kläger keinen Anspruch auf die geltend gemachte
Gutschrift hatte, da sich die Beklagte bezüglich seiner Arbeitsleistung nicht im Annahmeverzug befand.
Denn dafür müsse der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung so anbieten, wie sie zu bewirken sei, also
am rechten Ort, zur rechten Zeit und entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen. Erforderlich
gewesen sei ein tatsächliches Angebot der Arbeitsleistung auf der Rettungswache um 6:00 Uhr, da
der Dienst des Klägers wirksam präzisiert worden war. Auf eine fehlende Kenntnis könne sich der
Kläger nicht berufen, da er verpflichtet gewesen sei, die Weisung zur Konkretisierung zur Kenntnis
zu nehmen. Hierbei handele es sich um eine mit der Arbeitspflicht im unmittelbaren Zusammenhang
stehende Nebenleistungspflicht, der der Kläger aufgrund der Regelungen der BV unterliege. Hieraus ergebe sich die Pflicht, im Zusammenwirken mit dem anderen Teil die Voraussetzungen für die
Durchführung des Vertrags zu schaffen, Erfüllungshindernisse nicht entstehen zu lassen und dem
anderen Teil den angestrebten Leistungserfolg zukommen zu lassen. Vom Kläger werde keine ununterbrochene Erreichbarkeit verlangt. Es bleibe ihm überlassen, wann und wo er die SMS zur Kenntnis
nehme. Der Kläger habe auch nicht mit der Beklagten in Kommunikation treten, sondern lediglich
deren Nachricht zur Kenntnis nehmen müssen. Die Annahme einer solchen Pflicht führe auch nicht
zu einer Kollision mit der Arbeitszeit-RL 2003/88/EG, da es sich bei der Kenntnisnahme der Weisung
zum konkretisierten Dienst nicht um Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne handele. Eine
Unterbrechung der Ruhezeit erfolge durch die Kenntnisnahme der Weisung nicht.