BAG AKTUELL:
Erschütterung des Beweiswerts von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen
BAG, Urteil vom 13.12.2023 (Az.: 5 AZR 137/23)

Ausgabe 56 | Juni 2024
Der Kläger, der bei der Beklagten seit März 2021 als Helfer beschäftigt war, legte am 2. Mai 2022 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Bescheinigung) für die Zeit vom 2. bis 6. Mai 2022 vor. Mit Schreiben vom 2. Mai, dem Kläger zugegangen am 3. Mai 2022, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31. Mai 2022. Mit Folgebescheinigungen vom 6. und 20. Mai 2022 wurde die Arbeitsunfähigkeit letztlich bis zum 31. Mai 2022 verlängert. Ab dem 1. Juni 2022 war der Kläger wieder arbeitsfähig und nahm eine neue Beschäftigung auf. Die Beklagte verweigerte daraufhin die Entgeltfortzahlung mit der Begründung, der Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei vor diesem Hintergrund erschüttert. Die Vorinstanzen gaben der auf Entgeltfortzahlung gerichteten Klage statt.

Die Revision der Beklagten hatte – bezogen auf den Zeitraum vom 7. bis zum 31. Mai 2022 – Erfolg.

Das BAG bestätigte, dass ein Arbeitnehmer grundsätzlich die von ihm behauptete Arbeitsunfähigkeit mit ordnungsgemäß ausgestellten ärztlichen AU-Bescheinigungen nachweisen könne. Deren Beweiswert könne der Arbeitgeber aber erschüttern, wenn er tatsächliche Umstände darlegt und ggf. beweist, die nach einer Gesamtbetrachtung Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit geben. Für die Erschütterung des Beweiswerts von AU-Bescheinigungen, die während einer Kündigungsfrist ausgestellt werden, sei nicht entscheidend, ob es sich um eine Kündigung des Arbeitgebers oder des Arbeitnehmers handele und ob eine oder mehrere Bescheinigungen vorgelegt werden. Erforderlich sei stets eine einzelfallbezogene Würdigung der Gesamtumstände. Danach sei im vorliegenden Fall der Beweiswert der Bescheinigung vom 2. Mai 2022 nicht erschüttert, da eine zeitliche Koinzidenz zwischen Beginn der Arbeitsunfähigkeit und Zugang der Kündigung nicht gegeben sei. Bezüglich der AU- Bescheinigungen vom 6. und vom 20. Mai 2022 sei der Beweiswert dagegen erschüttert, da zwischen der in den Folgebescheinigungen festgestellten passgenauen Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit und der Kündigungsfrist eine zeitliche Koinzidenz bestand und der Kläger unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufgenommen hat. Dies habe zur Folge, dass nunmehr der Kläger für die Zeit vom 7. bis zum 31. Mai 2022 die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 I EFZG trage. Da das LAG hierzu keine Feststellungen getroffen hatte, wurde die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen.