BAG AKTUELL:
Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung
BAG, Urteil vom 13.09.2022 (Az.: 1 ABR 22/21)
Ausgabe 50 | September 2022
Der in einer vollstationären Wohneinrichtung gebildete Betriebsrat wollte in der Einigungsstelle die
Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems durch die Arbeitgeberin erzwingen. Er machte
dazu geltend, dass ihm nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ein Initiativrecht zustehe, er also auch gegen
den Willen der Arbeitgeberin die Einführung einer elektronischen Zeiterfassung verlangen könne.
Diese hielt dem entgegen, dass § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ein reines Abwehrrecht zum Schutz der
Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter sei.
Das BAG gab der Arbeitgeberseite im Ergebnis Recht, folgte deren Argumentation jedoch nicht.
Nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG habe der Betriebsrat in sozialen Angelegenheiten nur
mitzubestimmen, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht. Bei unionskonformer
Auslegung des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG (Arbeitsschutzgesetz) seien Arbeitgeber bereits aktuell dazu
verpflichtet, die Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmer zu erfassen. Hintergrund dieser europarechtskonformen
Auslegung ist ein Urteil des EuGH vom 14.05.2019, Az. C-55/18, siehe dazu ARBEITSRECHTSREPORT
2/2019.
Für Arbeitgeber, die bereits heute die Arbeitszeit (elektronisch) erfassen, bringt die Entscheidung des
BAG zunächst keine wesentliche Veränderung. Alle übrigen müssen sich unmittelbar auf die geänderte
Rechtslage einstellen, denn die Pflicht zur Zeiterfassung gilt bereits. Da das BAG die Verpflichtung zur
Erfassung der Arbeitszeit jedoch ausdrücklich aus dem Arbeitsschutzgesetz herleitet, droht ihnen nach
vorläufiger Einschätzung bei Verstößen hiergegen aktuell kein Bußgeld, denn anders als in § 22
ArbZG sieht das Arbeitsschutzgesetz kein Bußgeld für Verstöße gegen § 3 ArbSchG vor.
Es bleibt zu hoffen, dass die noch ausstehende Begründung der Entscheidung des BAG vom
13.09.2022 erste Hinweise darauf gibt, welche Anforderungen die Rechtsprechung zukünftig an eine
rechtskonforme Zeiterfassung stellen wird. Zudem hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales
bereits diesbezügliche gesetzgeberische Schritte angekündigt.
Abzuwarten bleibt zudem, ob und welche Auswirkungen die Entscheidung auf die Darlegungs- und
Beweislast im Überstundungsprozess haben wird (dazu jüngst BAG 5 AZR 359/21), über die wir im
letzten ARBEITSRECHTSREPORT berichtet hatten.