Bedeutung des betrieblichen Eingliederungsmanagements bei krankheitsbedingter Kündigung BAG, Urteil vom 10.12.2009 (Az.: 2 AZR 400/08)
Ausgabe 02 | Juni 2010
Mit dieser Entscheidung hatte sich das BAG erneut mit der Bedeutung des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX im Zusammenhang mit krankheitsbedingten Kündigungen auseinanderzusetzen. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Arbeitnehmerin wies seit dem Jahre 2003 über einen Zeitraum von vier Jahren erhebliche Arbeitsunfähigkeitszeiten (zwischen 33 und 96 Arbeitstage pro Jahr) auf. In einem Gespräch im Jahre 2004 empfahl die Betriebsärztin eine Reduzierung der Arbeitszeit oder eine Versetzung der Arbeitnehmerin. Beide Alternativen lehnte die Arbeitnehmerin ab. Im Jahre 2006 empfahl die erneut eingeschaltete Betriebsärztin die Einleitung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme. Auch dies lehnte die Arbeitnehmerin ab, da sie in diesem Falle ihre Kinder nicht mehr betreuen könne. Daraufhin kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis.
Seine bisherige Rechtssprechung bekräftigend, entschied das BAG, dass die gesetzliche Pflicht des Arbeitgebers zur Durchführung eines BEM Auswirkungen auf die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Kündigungsschutzprozess wegen krankheitsbedingter Kündigung habe. Hat der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung kein BEM durchgeführt, habe er darzulegen, weshalb denkbare oder vom Arbeitnehmer aufgezeigte Alternativen zu den bestehenden Beschäftigungsbedingungen mit der Aussicht auf eine Reduzierung der Ausfallzeiten nicht in Betracht kommen. Das gleiche gelte, wenn das BEM nicht den gesetzlichen Mindestanforderungen genügt.
Ein BEM genüge den gesetzlichen Mindestanforderungen, wenn es die zu beteiligenden Stellen, Ämter und Personen einbezieht, keine vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Anpassungs- und Änderungsmöglichkeiten ausschließt und die von den Teilnehmern eingebrachten Vorschläge sachlich erörtert werden.
Hat ein ordnungsgemäß durchgeführtes BEM zu einem negativen Ergebnis geführt, genüge der Arbeit- geber seiner Darlegungslast, wenn er auf diesen Umstand hinweist und vorträgt, es bestünden keine anderen Beschäftigungsmöglichkeiten. Es sei dann Sache des Arbeitnehmers im Einzelnen darzutun, dass es entgegen dem Ergebnis des BEM weitere Alternativen gebe, die entweder dort trotz ihrer Erwähnung nicht behandelt worden seien oder sich erst nach dessen Abschluss ergeben hätten. Hat ein BEM hingegen zu einem positiven Ergebnis geführt, ist der Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet, die empfohlene Maßnahme als milderes Mittel im Verhältnis zu einer Kündigung umzusetzen. Kündigt er das Arbeitsverhältnis, ohne dies zumindest versucht zu haben, muss er darlegen, warum die Maßnahme entweder undurchführbar war oder selbst bei einer Umsetzung nicht zu einer Reduzierung der Ausfallzeiten geführt hätte. In seiner Entscheidung führt das BAG weiter aus, dass die Durchführung eines BEM der Einwilligung des Arbeitnehmers bedürfe, also bei einer Weigerung seitens des Arbeitnehmers ein BEM nicht durchgeführt werden müsse. Im vorliegenden Fall, so das BAG, könne die spontane Ablehnung der Arbeitnehmerin gegenüber der Betriebsärztin mit dem Hinweis, sie müsse ihre Kinder betreuen, jedoch nicht als Weigerung zur Durchführung eines BEM verstanden werden. Vielmehr hätte der Arbeitgeber die Arbeitnehmerin – einer Abmahnung ähnlich – zur Teilnahme an der Rehabilitationsmaßnahme mit dem Hinweis auffordern müssen, dass im Weigerungsfall die Kündigung erfolgen könne.
Als Konsequenz dieser Entscheidung empfehlen wir, vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung zu prüfen, ob ein BEM im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast im Kündigungsschutzprozess durchgeführt werden soll. Dies wird in der Regel unerlässlich sein. Bei Bedarf werden wir Sie insoweit gerne unterstützen. Die Aufforderung zur Durchführung eines BEM sollte sodann unter Fristsetzung und mit dem Hinweis einer möglichen Kündigung erfolgen.